Eine Geschichte vom modernen Menschen
By Silvia Köpf
„Ihre Bilder nehmen in dem Raum zwischen Standfotos und bewegten Bildern Form an und sind eindringliche Vermittler von Alltagsrealität.“
Unter anderem mit diesen Worten der Jury wurde Ana Sluga als Preisträgerin des ESSL AWARD 2007 für das Land Slowenien ausgewählt. Neben ihren sensiblen, mit analoger Kamera aufgenommenen Landschaftsfotografien („Trees“, 2006), waren es vor allem die beiden Videos „Homo Faber“ (2007) und „Away“ (2006), mit denen die junge Künstlerin zunächst im Online-Voting und schließlich in der Ausstellung der zehn Nominees in Ljubljana im Frühjahr 2007 die acht Juroren überzeugen konnte. Als besondere Qualität, die auch ihre neuesten Videoarbeiten auszeichnet, wurde die poetische Kraft der Zeitlupen-Bilder erkannt. In Verbindung mit klassischer, beinahe trauriger Musik, lassen sie die Zuseher zur Ruhe kommen und in eine langsamere Welt eintauchen.
Die digital gefilmten Video-Arbeiten greifen in schwarz-weißen Bildern das Thema der Brutalität im Zuge von Zerstörung und Selbstverleugnung auf, ein Thema das sich in der Menschheitsgeschichte ständig wiederholt. Das Unvermögen der Menschen, aus der Geschichte zu lernen, stellt sie in „Away“ in Form eines Gebäudeabrisses dar, der „heraufbeschworen durch den Fortschritt“ nichts weiter ist „als ein Deckmantel für profitorientierte Stadtentwicklung“ . Als empfindsame Beobachterin zeigt sie die materielle Zerstörung. Die Musik stellt die Verbindung zum zweiten Video „Homo Faber“, das an die gegenüberliegende Wand projiziert wird, her. Ein in Zeitlupe gefilmtes Kleinkind in Nahaufnahme ist hier der Protagonist – Anas eigener Sohn Theodor Tar. In unscharfen, körnigen Bildern hält die junge Mutter Empfindungen wie Neugierde, Zufriedenheit oder Erstaunen des Kindes fest. Dem für Unschuld und Reinheit stehenden Kind gibt jedoch der Titel des Videos eine neue Bedeutung: „Homo Faber“ – ein Begriff der in der Anthropologie benutzt wird, um den modernen gestaltenden Menschen von älteren Menschheitsepochen abzugrenzen. Wesentlich ist dabei seine Eigenschaft als menschlicher Handwerker, der aktiv verändernd in seine Umwelt eingreift. Die Technik als „Grundinteresse des Menschen wächst später zu Innovation und Konstruktion heran und endet schließlich in der Dekonstruktion. So bildet sich ein Kreislauf des unablässigen und unerklärlichen menschlichen Verlangens nach Erschaffung und Zerstörung“ , beschreibt Ana ihre Arbeit.
In der Ausstellung „ESSL AWARD 2007“, eine Gruppenausstellung aller Preisträger des Awards in Klosterneuburg bei Wien, präsentierte die Künstlerin neben den für den Preis eingereichten Videos, auch die vierteilige Fotoserie, „Eco – Ego“ (2007), die sich nun im Besitz des Sammlerpaares Agnes und Karlheinz Essl befindet. So wie alle Werke Ana Slugas eine starke inhaltliche Kontinuität aufweisen, versteht sich auch diese Fotoserie als Weiterführung des Projekts „Homo Faber“. Zu sehen ist eine von der Künstlerin festgelegte Reihenfolge an „Landschaftsfotos“. Was zunächst noch mit dem romantischen Sujet von blätterlosen Bäumen im dichten Herbstnebel beginnt, setzt sich in Aufnahmen einer Mülldeponie fort. Die Naturlandschaft wird dabei immer mehr aus dem Bildraum verdrängt: Im zweiten Foto gibt es noch Bäume, jedoch wird das Motiv bereits von einem sich von rechts ins Bild schiebenden Berg Holzmüll dominiert. Erkennbar sind kaputte Türen und Möbel, die als Lebensraum „ausgedient“ haben. Die nächste Aufnahme zeigt Plastikabfälle, die die gesamte Bildfläche ausfüllen. Im Hintergrund ist ein Bulldozer, der versucht, einen Berg aus den Haushaltsabfällen der Menschen zu formen – ein ironischer Bezug auf das Naturmotiv zu Beginn. Zuletzt zeigt die Künstlerin die noch immer vorhandenen Überreste von Jahrzehnte altem Plastikmüll. In ergreifenden Bildern von beachtlichem Format (90 x 138 cm) erzählt uns Ana Sluga eine Geschichte der modernen westlichen Zivilisation. Durch die Schnelllebigkeit des Menschen in einer Welt, deren Devise „Zeit ist Geld“ lautet, gerät er permanent unter Druck finanzieller, sozialer, politischer und ökonomischer Natur. Ana stellt die Frage, wohin es führen mag, wenn der Mensch völlig seinen Bezug zu sich selbst verliert. Auf der Suche nach einer Antwort findet sie sich wieder an dem Ort, wo schließlich die Reste einer Konsumgesellschaft landen: auf der Müllhalde – der vom modernen Menschen geformten „Landschaft“.
Neben Video und Fotografie, arbeitet die vielfältige Künstlerin Ana Sluga auch als Malerin und Zeichnerin – eine inhaltliche Kontinuität bleibt aber in jedem Medium aufrecht. In einem meditativen Arbeitsprozess von beinahe einem Jahr portraitiert sie in einer sechsteiligen Serie jene Personen, die für ihr Leben eine bedeutende Rolle spielen. Auch die drei Diptychen können als Fortführung des „Homo Faber“-Gedankens gesehen werden. Die früheste Arbeit „Tar and Tar“ (2007) zeigt im großen Format von 180 cm Höhe erneut das Gesicht ihres Sohnes als Kleinkind. Während die linke schmälere Seite des Diptychons von einer mit grünen und rosa Punkten versehenen, orange bemalten Tafel gebildet wird, zeichnet Ana – für eine Leinwand von dieser Größe sehr ungewöhnlich – mit Bleistift auf der rechten Tafel das Portrait. Wie im zuvor erwähnten Video, blickt das überlebensgroße Kind mit unschuldigen und neugierigen, weit geöffneten Augen auf die Betrachter. Bis auf die harmlos wirkenden grünen und rosa Tupfen, die sich auch über die Zeichnung ziehen, erscheint die Welt noch ungetrübt, ehrlich und direkt. Die beinahe monochrome Tafel an Theodor Tars Seite könnte Sinnbild für ein Leben sein, dessen Bahn zwar durch die Farbe schon ein wenig bestimmt ist, vieles aber noch offen und daher frei für Gestaltung durch den heranwachsenden Menschen bleibt. Die beiden folgenden Diptychen „Self and Self“ und „Miha and Miha“ (beide 2008) unterscheiden sich vom ersten durch ein kleineres Format (40 cm Höhe) und die ausschließliche Verwendung von Acrylfarbe auf der Leinwand. Wie schon bei „Tar and Tar“ diente auch hier die Fotografie als Basis für die Portraits. Bei den letzteren wurden jedoch die Fotos zuerst am Computer verändert, ehe sie als Vorlagen für die Malereien dienten. Durch die Größe der Leinwand am meisten zurückgenommen ist das Bild der Künstlerin selbst. Als kritische Beobachterin zeigt sie ihr Abbild in einem groben Raster, einige Stellen bleiben weiß. Wie auch bei „Miha“, der durch ein noch gröberes Raster aus unterschiedlich großen Punkten am schwersten zu erkennen ist, bleibt ungewiss, was auf der jeweils linken Tafel dargestellt ist. Die Farben und das Raster entsprechen jeweils dem Schema der rechten Tafel mit dem Portrait. Ergänzen sich die Bilder? Ergibt sich das eine aus dem anderen? – Viele mögliche Interpretationen werden hier dem Betrachter offen gelassen. Eindeutig ist jedoch die zunehmende Fremdeinwirkung von außen in das fotografische Vorbild, die zurückgehende Unmittelbarkeit und die vermutlich für das Leben der Dargestellten stehende, in der Breite anwachsende Tafel auf der linken Seite, deren Abstand zur rechten Tafel immer größer wird.
Ana Sluga wirft in ihren Arbeiten stets einen kritischen Blick auf die Entwicklung unserer Gesellschaft, doch zugleich spielt immer auch das Mensch-Sein als positiver Wert eine Rolle. Ihre Werkserien ergeben immer eine in sich geschlossene Geschichte und sollten daher immer in ihrer Gesamtheit betrachtet werden.
In ihrer neuesten Fotoserie „Personally“ (2008) zeigt sie in sieben intimen Portraits Männer unterschiedlichen Alters. Während „Eco – Ego“ die Natur und deren Veränderungen durch den Menschen bei gleichzeitiger Abwesenheit des Menschen selbst zeigt, ist hier – wie auch schon in den Malereien – das Gegenbild dargestellt: Der Mensch, und wie ihn die Natur- und Umwelteinflüsse verändern; das Kind-Sein ist in dieser Serie aber bewusst ausgeblendet. Um dieser Veränderung möglichst objektiv auf die Spur zu gehen, gelten für alle Modelle, vom 13- bis zum 86-Jährigen, dieselben Voraussetzungen: Ihre Persönlichkeiten sollen so unmittelbar wie möglich gezeigt werden. Alle werden in ihrem eigenen Badezimmer, so entspannt wie möglich, mit einem Unterhemd bekleidet, porträtiert. Was vor allem durch die Frontalansicht und den gewählten Ausschnitt vor der kühlen Badezimmerwand zunächst wie ein „Verbrecherfoto“ wirken mag, stellt sich bei näherer Betrachtung als sensible individuelle Aufnahme heraus. Jedes einzelne Gesicht drückt sehr starke Gefühle, Wünsche, Enttäuschungen oder Erwartungshaltungen für ein bestimmtes Alter aus – sei es die Coolness eines 19-Jährigen, der Ehrgeiz eines 34-Jährigen oder die Gleichmütigkeit des 86-Jährigen, der vom Leben alles kennt und die Dinge nicht mehr verändern möchte. Gleichzeitig wird die Individualität der Dargestellten aber auch von einer Nummer unter dem Bild konterkariert. Diese Nummern stammen aus den slowenischen Personalausweisen der Portraitierten und beinhalten Geburtsdatum- und Jahr, Geschlecht und Ländercode – Daten, die für bestimmte Zwecke, vor allem für die Bürokratie, ausreichend Informationen über einen Menschen geben können.
Die traurige Feststellung, dass der einzige Weg zum Glück für den modernen Menschen im Materialismus zu liegen scheint, ist auch Thema ihrer neuesten Videos „Metamorphosis“ und „Reminder“, beide von 2008. Einmal mehr möchte die Künstlerin aufzeigen, dass der Mensch nicht mehr mit sich selbst in Einklang ist; Er ist unsicher, emotional abgestumpft und verbittert, er kümmert sich nur um sich selbst und nicht um seine Umwelt. Vor allem die Hektik und das rasante Leben, die es nicht mehr erlauben, einer bestimmten Sache die nötige Aufmerksamkeit und Zeit zu widmen, lösen in Ana Sluga den Drang aus, künstlerisch tätig zu sein. In ihren neuen Videoarbeiten fokussiert sie Gefühle, Situationen und Gegenstände aus dem Alltag und zeigt diese in einer neuen Sichtweise – einer Sichtweise, die uns aufgrund unserer täglichen Verpflichtungen abhanden gekommen ist. Wenn beispielsweise in „Reminder“ zwei Minuten lang nur das Bild eines sich drehenden Polyphons zu sehen ist, so vermischt sich im Zuseher das Gefühl der Nostalgie mit etwas Hypnotisierendem, Meditativem. Ähnliches gilt für „Metamorphosis“: untermalt von beruhigender Instrumentalmusik, bewegen sich zwei unbestimmbare Lichtformationen auf dunklem Hintergrund; sie erinnern ein wenig an Quallen im Wasser. Am Ende des dreiminütigen Loops werden diese zwei Formen zu verschwindend kleinen Lichtflecken am Horizont einer Nachtlandschaft. Trotz dieser Erkenntnis fühlt man sich in die unendlichen Weiten des Alls versetzt. Die neuen Videos sind ein Aufruf der Künstlerin zur inneren Entspannung und zur Rückkehr zu den wahren menschlichen Werten.